Die digitale Transformation und der Wandel zur digitalen Gesellschaft ist in vollem Gange – kaum mehr ein Lebensbereich, in den Sie noch nicht vorgedrungen ist. Rufe nach E-Voting, elektronischen Krankenakten der digitalen Identität für Bürgerinnen und Bürger werden lauter. Die Digitalisierung verspricht eine unkomplizierte, schnelle Zukunft. Dem gegenüber stehen Bedenken bezüglich Datensicherheit und –schutz. Doch was braucht man eigentlich dazu, um eine digitale Gesellschaft zu werden? Geht es nach Internetpionier Taavi Kotka, braucht es dazu bloss 7 Prinzipien.
Kotka erster CIO der estnischen Regierung und berät bis heute die Europakommission in Fragen zum europäischen Digital Single Market und e-Governance. Aktuell berät er mit seinem Unternehmen Regierungen und Startups zum Thema digitale Transformation. In seiner Keynote an der 5. Swiss Conference on Data Science SDS|2018 zeigte er auf, was Landes- und Stadtregierungen auf technologischer und institutioneller Ebene tun können, respektive müssen, um eine digitale Gesellschaft zu werden.
Grundvoraussetzung zur Nutzung digitaler Dienste und Services ist eine stabile und sichere Netzversorgung. Kurz: jede Bürgerin und jeder Bürger müssen über Zugang zum Internet verfügen. Wir sind überzeugt: nur der Zugang zum Internet allein ist noch nicht die Lösung. Die Menschen müssen auch verstehen, wie sie die Anwendungen und Services optimal und sicher nutzen.
Wie sieht es diesbezüglich in der Schweiz aus?
Bezüglich Digital Literacy besteht auch in der Schweiz noch grosser Nachholbedarf. Grundkenntnisse im Programmieren, beispielsweise, eröffnen uns die Möglichkeit, zu verstehen, wie die digitale Welt funktioniert; helfen, Schnittstellen besser zu bewältigen und zwischen Kommunikation und Technik Brücken schlagen. Auch in unserer täglichen Arbeit helfen uns diese Kenntnisse, die Zusammenarbeit zu vereinfachen und die Abstimmung mit verschiedenen Partnern effektiver anzugehen und zu planen. Initiativen wie Master21 oder Let’s boot bieten hier verschiedene Programme auf unterschiedlichen Niveaus und machen fit für das digitale Zeitalter.
Eine digitale Identität muss, genau wie eine physische, eindeutig identifizierbar sein. Kotka fügt treffend an, dass wir hier geradezu einem Paradoxon gegenüberstehen: während viele Menschen Vorbehalte gegenüber einer vom Staat angelegten digitalen Identität äussern, nutzen sie gleichzeitig eine E-Mail-Adresse – die im Grundsatz dasselbe ist. Eine einzigartige Abfolge von Buchstaben und Zeichen, die einer einzigen bestimmten Person zugeordnet werden kann. Ein Grossteil der Menschen nutzen also schon digitale Identitäten, ohne sich dessen bewusst zu sein und vertrauen darauf, dass diese funktionieren.
Eine digitale Gesellschaft soll bestimmte Abläufe und Vorgänge vereinfachen. Dies funktioniert aber nur, wenn der Grundsatz once-only verfolgt wird. Datensätze werden ein einziges Mal angelegt und durch eine geeignete Infrastruktur geteilt. Dieses Vorgehen entlastet die einzelnen Infrastrukturen und sorgt dafür, dass die Daten stets aktuell und richtig sind – und nicht zuerst verschiedene Datenbanken abgeglichen werden müssen.
Und in der Schweiz?
Für eine nachhaltige Digitalisierung setzt sich beispielsweise die DINAcon ein. Auch CH Open engagiert sich in diesem Bereich und ist von Innovationskraft, Qualität und Potential von Open Source Lösungen überzeugt. Frei nach dem Motto: «In die Umsetzung von Funktionalitäten investieren, statt teure Lizenzen zu bezahlen!»
Der vierte Punkt spricht denn auch die Hauptsorge vieler Bürgerinnen und Bürger an. Eigentum, Datenschutz und Privacy sind hochsensible Themen, welche die Debatte seit geraumer Zeit prägen – insbesondere in Bezug auf das elektronische Patientendossier; die digitale Krankenakte. Kokta ist überzeugt, dass digitale Dossiers im Endeffekt sogar privater als solche auf Papier sind. Während eine Papierakte entwendet und vervielfältigt werden kann, ohne dass Spuren zurückbleiben, weisen digitale Krankenakten ein Logbook auf. Jeder Zugriff, jede Modifikation werden dokumentiert.
Es ist Aufgabe und Pflicht der Regierung, transparent und offen zu informieren und zu kommunizieren. Bürgerinnen und Bürger müssen darauf vertrauen können, dass ihre digitale Identität und die geteilten Daten sorgfältig verarbeitet werden und sicher sind. Nur wer einem System vertraut, wird es nutzen.
Wer Vertrauen haben will, muss Vertrauen geben. Oder wie es die Unternehmerin und Chief Growth Officer von Nest, Niamh Given, «you need to put some skin in the game». Kommunikation und Beziehungen sind von hoher Relevanz . Glaubwürdige Kommunikation ist die Basis für die langfristige, erfolgreiche Einführung neuer digitaler Lösungen. Im Zentrum steht hier der kontinuierliche Dialog mit allen Stakeholdern; sowohl Einzelpersonen als auch der Öffentlichkeit. Bürgerinnen und Bürger sollen rechtzeitig abgeholt und in den Dialog eingebunden werden, sie wollen spüren, dass ihre Sorgen und Bedenken ernst genommen werden. Ob analog oder digital sei an dieser Stelle nicht weiter ausgeführt.
Aus unserer Erfahrung im Bereich Change Management wissen wir, dass eine erfolgreiche Transformation - hier zur zur digitalen Gesellschaft einer doppelt gefahrenen Strategie bedarf: Information und Erklärung zu neuen Services und Programmen bei gleichzeitiger Befähigung der Bevölkerung. Unser Fazit: Digital Literacy der Schweizerinnen und Schweizer sollte eine der Prioritäten der Landesregierung sein. Nur, wer über die entsprechenden Kenntnisse verfügt, kann digitale Dienste optimal und sicher nutzen. Digitale Bildung befähigt und hilft, eventuelle Vorurteile gegenüber ITC-Services abzubauen.
Kotka zieht ein Beispiel seiner Heimat Estland hinzu: im baltischen Staat darf kein bedeutendes System älter als 13 Jahre sein. Nur aktuelle Systeme gewährleisten die stabile Funktion eines digitalen Ökosystems. Oder wie Taavi Kotka vergleicht: «Bei Autos oder Mobiltelefonen, beispielsweise, setzt jeder von uns auch auf aktuelle, funktionierende Modelle».
Wie so oft bei innovativen Projekten sollte das grosse Ganze im Fokus stehen. Bei jedem Schritt, jedem neuen Element in der Konstruktion der digitalen Gesellschaft, sollte dem gesamten Ökosystem Rechnung getragen werden. Regierungen, die sich schon heute Gedanken darüber machen, wie sie der Bevölkerung optimal dienen können, werden sich einen klaren Vorsprung erarbeiten können und insbesondere für Digitale Nomaden mit geändertem Arbeits- und Lebenskonzept äusserst attraktiv werden. Bereits tut sich auch in der Schweiz einiges. Initiativen wie das staatslabor, und Vorreiter wie Hannes Gassert, der bei Pro Helvetia aktiv ist oder Johannes Gees von We make it! haben die Zeichen der Zeit erkannt und wollen die Schweiz digital auf Vordermann bringen.
Zu guter Letzt: Vorsprung und Mut sind gefragt. Regierungen sollen sich schon heute überlegen, wo sie stehen und wie sie die Entwicklungen zum Nutzen aller Bürgerinnen und Bürger einsetzen können. Wer jetzt den Kopf in den Sand steckt und sich neuen Möglichkeiten verwehrt, hat früher oder später das Nachsehen gegenüber innovativen Konkurrenten. Oder wie Kotka es formuliert: «Die Schweiz sollte Angst haben». Wir haben den Schritt bereits gewagt und sind in die digitale Welt eingetaucht – wagen auch Sie den Sprung?
Lesen Sie hier das Interview mit Kotka und zur digitalen Gesellschaft im Tages-Anzeiger:
https://www.tagesanzeiger.ch/digital/daten/die-schweiz-sollte-angst-haben/story/13213167
Eine Organisation, die für einen aktiven, engagierten Umgang mit der digitalen Transformation steht ist We Shape Tech.
Mehr zu We Shape Tech: http://www.weshape.tech
Weitere Infos zu den erwähnten Organisationen, die sich für digitale Nachhaltigkeit und Open Source engagieren:
DINAcon: http://www.dinacon.ch
CH Open: http://www.ch-open.ch
DIe 6. Swiss Conference on Data Science SDS|2019 findet am 13. und 14. Juni 2019 statt. Wir von Aileen Zumstein Communication freuen uns, dass wir auch die kommende Ausgabe der Konferenz begleiten dürfen.